Ausverkauf im Wa(h)renhaus – Schritt 1: Abschaltung der Kommentarfunktion

Sie hatten ihre Zeit und ihre Chance: Die guten Diskussionsblogs. – Doch diese Zeit ist lange vorbei. Das hat auch Folgen für mich und dieses Blog.

Als ich im April 2005 mit dem Bloggen begann, gab es gerade den Hype um politische Debattenblogs. Es war toll! Ich schrieb meine Beiträge, reagierte auf die Beiträge auf anderen Blogs und fühlte mich schnell als Teil eines größer werdenden politischen Netzwerks, in dem zum Teil kontrovers debattiert wurde. Doch die Diskussionen waren respektvoll und sachorientiert. Und es gab damals durchaus einige heiße Eisen. Obwohl die meisten Debattenblogs eher links standen, gab es auch einige, die der CDU nahestanden und sich wirklich intensiv am Austausch beteiligten. Eine Weile lang war dieses Netzwerk recht erfolgreich und beschränkte sich nicht auf Politik. Man konnte Hilfe bei der Technik des Bloggens bekommen, die noch relativ neu war, es entstanden sogar persönliche Verbindungen.

Ein paar Jahre hielten sich einige dieser Verbindungen, und es kam zu Gesprächen in den Kommentaren der interessantesten Blogposts. Doch dann hielt, wie auch überall sonst, der gemeine Wutbürger Einzug, zerstörte zuerst die Freundlichkeit und Sachlichkeit der Diskussion, dann die Bereitschaft zum gegenseitigen Zuhören und schließlich das Interesse an einem wirklichen Austausch und Gespräch. Es kam nur noch auf das Pöbeln an, es war und ist wohl die einzige Möglichkeit, wie sich diese Leute ein Ventil schaffen können. Und natürlich ist die Zerstörung der demokratischen Kommunikation auch gewollt.

Seit Jahren ist, von absoluten Einzelausnahmen abgesehen, ein Nazi der Einzige, der regelmäßig auf meinem Blog kommentiert. Ich lese ihn schon seit Jahren nicht mehr, obwohl ich anfangs durchaus gesprächsbereit war. Aber er war feige und entzog sich einem direkten Austausch, versteckte sich hinter Fake-Mailadressen und ähnliches. Von ihm werde ich seit Jahren mit Müll zugespammt, der in der Regel gar nichts mit dem zu tun hat, was ich geschrieben habe. Irgendwann habe ich beschlossen, ihn zu ignorieren, und das gelingt mir auch. Trotzdem: Weil sich in den letzten Monaten bei mir insgesamt eine allgemein pessimistische Stimmung im Bezug auf unsere weltweite Situation breit gemacht hat, fällt mir halt auch auf, dass dieses Blog seinen ursprünglichen Zweck, zur Kommunikation zwischen politisch interessierten Menschen beizutragen, vollständig eingebüßt hat, zumindest auf der eigenen Weboberfläche. Gute Kommentare oder zumindest Boosts erhalte ich heutzutage nur noch auf Mastodon.

Daher habe ich mich im Grunde entschieden, dieses Blog nach und nach abzuwickeln. Was soll dieser Software-Kolloss, wenn er sowieso kaum noch zu seinem eigentlichen Zweck genutzt wird? Das bedeutet nicht, dass ich gar nichts mehr schreiben will, aber wie und auf welche Weise, das ist mir noch nicht ganz klar, obwohl ich schon ein oder zwei Dinge habe, über die ich nachforschen werde.

Als ersten Schritt habe ich heute die Kommentarfunktion dieses Blogs nach 17 Jahren abgeschaltet. Weitere Schritte werden ganz sicher folgen. Ich habe einfach keine Lust mehr, einerseits ins Leere zu schreiben und andererseits von Neonazis getrollt zu werden.

Für diesen Post gibt es zwei Antwortmöglichkeiten: Das Kontaktformular und Mastodon.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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