Der Scharfmacher

Guido Westerwelle ist der Held des folgenden Kommentars, den ich schon am 16. Februar für ohrfunk.de geschrieben und dort veröffentlicht habe.

Eine geistig-politische Wende hält er für unbedingt erforderlich, sagt unser Außenminister Guido Westerwelle. Und er beziehtt das nicht etwa auf einen außenpolitischen Tatbestand, sondern auf das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Für unseren Außenminister trägt die Debatte sozialistische Züge, und er warnt: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wolstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Es sei immer nur die Rede von den Leistungsempfängern, von denen, die das Geld erarbeiteten, rede niemand. Und der Außenminister erklärt: 60 Prozent des Bundeshaushaltes würden für Sozialausgaben benutzt. Gehe das so weiter, würde der Steuerzahler zum Sozialfall. In vielen Branchen, so erklären die Leute, die Westerwelle eilfertig zustimmen, sei der Lohn heute kaum noch höher als der Hartz-IV-Regelsatz. Was für die FDP und ihren Vorsitzenden allerdings wie sozialistische, ungerechtfertigte Gleichmacherei klingt, ist für mich das schlagendste Argument für einen flächendeckenden Mindestlohn, denn wessen Politik hat uns denn die so niedrigen Billigstlöhne beschert? Löhne, von denen Wirtschaftsführer und Wirtschaftsweise immer noch frech behaupten, sie seien zu hoch? Würde man sie noch mehr absenken und müsste das Lohnabstandsgebot zu den Sozialleistungen dann auch noch gewahrt werden, so könnte man diese Leistungen auch abschaffen. Aber das nur am Rande.

Zunächst fällt an Westerwelles Aussagen auf, wie einfallslos sie sind. Der Mann, der von seinen liberalen Jubelpersern als der beste Politiker seit Franz-Josef Strauß verehrt wird, spricht von einer geistig-politischen Wende. Man klaue einen Begriff bei Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, hoffe, dass viele ihn binnen der letzten 28 Jahre vergessen haben, tausche ein Wort aus und versuche ihn erneut zu verschlagworten. Höre ich so etwas, weiß ich genau, warum die Menschen immer politikverdrossener werden, sie werden nämlich für dumm verkauft. Aber das ist nicht alles. Mit seiner griffigen Formel von der spätrömischen Dekadenz bringt sich Guido Westerwelle zwar schwer ins Gerede, offenbart aber gleichzeitig einen eklatanten Bildungsmangel. Dass die späte Epoche des römischen kaiserreiches keineswegs von besonderem Luxus oder besonderer Dekadenz geprägt war, hat der Blogger mit dem Pseudonym „Don Alfonso“ in seinem Blog auf den Seiten der FAZ schlüssig und deutlich dargelegt, und diese Ausführungen, so wenig sie mit der aktuellen Debatte zu tun zu haben scheinen, offenbaren Westerwelles Umgang mit der Wahrheit, der Sprache und den Schlagworten. Denn Guido Westerwelle ist nicht dumm, sondern klug, er weiß, was notwendig ist, um Menschen für sich zu gewinnen. Und wenn dies hier und da mit zurechtgebogenen Aussagen und griffigen Schlagworten geschieht, dann mag alle Welt ihn einen Rechtspopulisten nennen, in den Augen seiner Jünger ist er ein Streiter gegen eine verhärtete politische Klasse, gegen das Schweigen der erstarrten und verhassten Solidargesellschaft, gegen festgefügte Strukturen, die unzeitgemäß sind. Für sie mag er ein Reformer sein, für mich steht er in der Tradition eines Jörg Heider, eines Jean Marie le Pen und eines Pim Fortuyn oder Geerd Wilders. Und wie vor 8 Jahren nach der Ermordung von Fortuyn glaube ich, dass es solche Leute sind, die für Deutschland und Europa besonders gefährlich sind, die Verkünder des gesunden Volksempfindens, die geschmähten Rufer in der Wüste, die sich gegen die alten Eliten wenden wie ein Napoleon oder Robespierre, nur das ihre Waffe selbst nicht die Guillotine, sondern das Wort ist, welches sie zu messerscharfen Angriffen gegen jene wenden, die sich nicht wehren können.

Natürlich ist nach dem Verfassungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen auch weiterhin eine Diskussion unbedingt erforderlich, und in einem Punkt hat Westerwelle recht: Rund 60 Prozent des Bundeshaushaltes werden mittelbar oder unmittelbar für Sozialleistungen ausgegeben. Das darf auf die Dauer nicht so bleiben. Und würde man die Regelsätze erhöhen, wäre es vorläufig noch mehr. Der Bundeshaushalt könnte allerdings auch ein viel größeres Volumen haben, wenn nicht in unvertretbarem Umfang Steuergeschenke an die gemacht worden wären und immer noch werden, die ohnehin genug Geld haben, um ihre Steuern ohne Verluste für sich zu bezahlen. Während nämlich der Arbeitsanreiz nach unten durch Sanktionen und Strafen gefördert werden soll, wird der Investitionsanreiz nach oben durch Geschenke und Erleichterungen vermittelt. Dafür ist die Abschaffung des solidarischen Sozialsystems für den glühenden Antisozialisten Westerwelle ein probates Mittel. Wer Solidarität und Mitmenschlichkeit allerdings Sozialismus nennt, und zwar in bewusster Anlehnung an die stalinistische Schreckensherrschaft in Osteuropa, der bedient sich einer rhethorischen Methodik, die mich an eine andere Schreckensherrschaft und an einen Mann mit einem verkrüppelten Bein denken lässt.

© 2010 Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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