Die Linke und der Verfassungsschutz – Eine Analyse

Schon vor ein paar Tagen habe ich zu diesem Thema geschrieben, aber ich habe zuvor nicht recherchiert. Der jetzt vorliegende Beitrag wurde für www.ohrfunk.de verfasst und beruht auf Recherche. Trotzdem werde ich auf Links zu gesetzlichen Einzelnormen verzichten, die aber über die bereitgestellten Links leicht aufgefunden werden können.

Wie inzwischen alle wissen, werden 27 Abgeordnete der Linksfraktion des Bundestages vom Verfassungsschutz überwacht. Nun hat der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt mittelfristig ein Verbotsverfahren gegen die Linke gefordert, da sie verfassungswidrig sei und den Systemwechsel wolle. Wer aber weiß eigentlich, was mit Verfassungsfeindlichkeit, Verfassungswidrigkeit und freiheitlich-demokratischer Grundordnung eigentlich gemeint ist? Und was sagt und schreibt die Linke, was sie in den Augen der Verfassungsschützer so verdächtig macht?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat u. A. die Aufgabe, Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Parteien, die diese Grundordnung ablehnen, nennt man verfassungsfeindlich, weil sie sich zu einem anderen politischen System bekennen. Solange sie dies aber gewaltfrei und nicht aktiv kämpferisch tun, werden sie zwar beobachtet, können aber nicht verboten werden. Erst wenn eine aktiv kämpferische Haltung zu beobachten ist, kann das Bundesverfassungsgericht eine solche Partei verbieten, sie wird dann für verfassungswidrig erklärt. Alexander Dobrindt ist nun der Meinung, die Partei „Die Linke“ sei nicht nur verfassungsfeindlich, sondern betreibe einen aktiven Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, darum solle man beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag stellen.

Was aber ist nun diese ominöse freiheitliche demokratische Grundordnung, von der immer die Rede ist, und gegen die sich die Linke wendet? Antwort finden wir im Verfassungsschutzgesetz und in Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Demnach gehören dazu:
Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
die Unabhängigkeit der Gerichte,
der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Dazu gehören vor allem, aber nicht nur, die Würde des Menschen, die persönliche Entfaltungsfreiheit, die Meinungs- und Gewissensfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Recht auf Eigentum und das Sozialstaatsprinzip.
Dies, und nur dies, sind die Rechtsgüter, die man als Partei verbal ablehnen muss, um verfassungsfeindlich genannt zu werden, oder die man aktiv kämpferisch bekämpfen muss, um verboten und für verfassungswidrig erklärt zu werden. Was aber nicht dazu gehört, ganz egal, wie sehr es sich Herr Dobrindt wünscht, ist der Kapitalismus. Im Gegenteil: In Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Und Artikel 15 Satz 1 lautet: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Grundsätzlich wäre also auf einfach gesetzlichem Wege eine Umgestaltung des Wirtschaftssystems bis hin zu einer Teilverstaatlichung der Wirtschaft möglich. Würde man ein solches Vorhaben politisch versuchen, käme dies einem wirtschaftlichen und teils gesellschaftlichen Systemwandel gleich, aber dieser Wandel ist vom Grundgesetz gedeckt.

Schon in der Präambel zu ihrem Parteiprogramm, sagt Alexander Dobrindt, fordere die Linke den Systemwechsel und wolle praktisch die DDR wiedererrichten. Erlauben Sie mir zum Schluss dieses kurzen Beitrages, einige Sätze aus dieser Präambel zu zitieren, damit Sie sich jenseits aufgeheizter Mediendebatten Ihre eigene Meinung bilden können:

„DIE LINKE als sozialistische Partei steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft. Wir, demokratische Sozialistinnen und Sozialisten, demokratische Linke mit unterschiedlichen politischen Biografien, weltanschaulichen und religiösen Einflüssen, Frauen und Männer, Alte und Junge, Alteingesessene und Eingewanderte, Menschen mit und ohne Behinderungen, haben uns in einer neuen linken Partei zusammengeschlossen. Wir halten an dem Menschheitstraum fest, dass eine bessere Welt möglich ist. … Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus. … Wir finden uns nicht ab mit einer Welt, in der Profitinteressen über die Lebensperspektive von Milliarden Menschen entscheiden und in der Ausbeutung, Kriege und Imperialismus ganze Länder von Hoffnung und Zukunft abschneiden. Wo vor allem der Profit regiert, bleibt wenig Raum für Demokratie. Die ungebändigte Freiheit der großen Konzerne bedeutet Unfreiheit für die Mehrheit der Menschen. … Wir wollen die neuen Möglichkeiten der Wissensaneignung, des kulturellen Austauschs und der Kommunikation für eine lebenswerte Zukunft nutzen. Rechts- und Sozialstaatlichkeit wollen wir ausbauen, damit Frauen und Männer souverän über ihre Arbeits- und Lebenszeit entscheiden können, Chancen der Beteiligung, der Bildung, des sozialen Füreinanders ergreifen können. Grenzenloser Reichtum für die oberen Zehntausend, Entwürdigung für immer mehr Arme und sinkender Wohlstand für die große Mehrheit sind nicht Ergebnis der Internationalisierung von Produktion und Handel, sondern des globalen Kapitalismus. Die Konsequenzen für Deutschland sind allgegenwärtig: ein wachsender Niedriglohnsektor, Arbeitsplatzvernichtung, Abbau von sozialen Leistungen, verarmte Kommunen, fehlende Ausbildungsplätze, soziale Bildungsprivilegien, Zwei-Klassen-Medizin, alte Menschen in Armut oder ohne menschenwürdige Pflege. Die herrschende Politik hat sich den Interessen der Konzernchefs und Vermögensbesitzer untergeordnet. Diese Agenda ist gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen gerichtet. Wir setzen auf globale Kooperation und Solidarität statt auf das Recht des Stärkeren. Eine Welt unter dem Diktat eines allmächtigen globalen Kapitalismus ist keine erstrebenswerte Welt. Im Mittelpunkt von Wirtschaft und Politik müssen die Lebensbedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Menschen stehen.“

Menschen mit solchen Zielen müssen in einer Demokratie unbedingt vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Sie sind suspekt, aber wem?

 

Update: Ich habe einen Artikel von mir gefunden, in dem ich mich vor ziemlich genau einem Jahr schon einmal ansatzweise mit den Linken und ihrer Verfassungstreue auseinandergesetzt habe.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Die Linke und der Verfassungsschutz – Eine Analyse

  1. Jörg sagt:

    Ich hätte googeln müssen, aber ich bin ziemlich sicher, dass seinerzeit der Vertreter der KPD das Grundgesetz ablehnte (was in einer Abstimmung durchaus möglich ist) aber dennoch darauf hinwies, dass es dereinst die Linken sein werden, die mit aller Kraft dieses Grundgesetz gegen eine Veränderung verteidigen würden.

    Das, lieber Jens, ist die Argumentation, die ich von den Linken vermisse. Aufzuzählen, wo die Regierenden gegenwärtig gegen Verfassungsgebote verstoßen. Und es gäbe genug, von der Bankernrettung über die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Ländern und und und. Es war nicht die Linke, die Armeeeinsätze im Inland fordert und praktiziert, die Banken rettet, die HartzIV nicht bedürfniskonform berechnet.

    Aber es ist auch leider die Linke, die jetzt getroffen aufheult, anstatt offensiv zu argumentieren. Wir hatten den Jahrestag der Berufsverbote, was sich da alles hätte an historischen Argumenten hätte finden lassen, um den Regierenden ihre eigene Verfassung um die Ohren zu hauen. Das ist aus meiner Sicht eine eizige Entäuschung.

  2. @Jörg du hast völlig recht, ich kritisiere die Linke auch. Es war Heribert Prantl von der Süddeutschen, der am Samstag den Zusammenhang zu den Berufsverboten gezogen hat.
    Ja, die KPD hat seinerzeit im parlamentarischen Rat das Grundgesetz abgelehnt, ich weiß nicht, was Max Reimann seinerzeit dazu gesagt hat, aber du könntest recht haben.

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