Eine Klangfarbe weniger: Der Folk- und Blues-man ist verstummt

Gestern, am 16. Juni 2014, verstarb unser Mitstreiter und Kollege Carsten Albrecht nach schwerem Leiden und langen Ringen. Ich kannte ihn nicht intensiv genug, um ihn meinen guten Freund nennen zu dürfen, aber ich kannte ihn gut genug, um Trauer über seinen Verlust zu empfinden und viele Einzelheiten im Kopf zu haben, die man jetzt in lustiger Runde erzählen müsste.

Es war im Restaurant Scheune in Berlin am 5. Mai 2005. 23 blinde Radiomacherinnen und Radiomacher trafen sich an diesem Tag, um über ein gemeinsames Projekt zu beraten. Ehrgeiziges Ziel war es, einen UKW-Sender aufzubauen, der hauptsächlich von Menschen mit Sehbeeinträchtigung gestaltet wird, womit man der Welt ohne großes Aufsehen zeigen könnte, wie gut wir das ebenfalls können. Ich saß mit ein paar anderen Leuten an einem gemütlichen Tisch, mir gegenüber eine junge, attraktive Frau, die von vielen Männern euphorisch begrüßt wurde. Nicht nur, dass sie ein hübsches Sommerkleid trug, was allen zu gefallen schien, sondern sie war auch die Betreiberin eines Internetradios, das mit recht wenig Kosten und Mühen zu unserer ersten Plattform ausgebaut werden könnte. Einer der Männer, die an unseren Tisch kamen, der Frau auf die Schulter klopften und sie überschwänglich begrüßten, war ein Nordlicht mit einer lauten, tiefen Stimme. Mit dieser Klangfarbe konnte er sich problemlos Gehör verschaffen. Es war Carsten Albrecht, der so viel Fröhlichkeit und Leichtigkeit ausstrahlte, dass man einfach mitgerissen wurde. Wir mochten uns von Anfang an. Carsten brachte mit lauter Stimme die Diskussion auf den Punkt, lachte herzhaft über kleine und große Späße und steckte uns alle mit seiner Lache an. Dann wieder sprach er ernsthaft über die Sendung des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Hamburg, die er im hamburger Lokalradio mit präsentierte. Wir vereinbarten, dass ich für den lockeren Club eine Internetdomain registrierte und eine Mailingliste ins Leben rief. Als ich zum zweiten großen Treffen nicht erscheinen konnte, erhielt ich zum dritten keine Einladung mehr und verpasste es. Ich beschwerte mich darüber, und da erlebte ich einen Carsten Albrecht, der mir die Meinung sagte, nicht mit seiner Kritik hinter dem Berg hielt, dabei aber immer fair blieb. Das war es dann, seither funktionierte unsere Zusammenarbeit immer reibungslos.

Als im Januar 2006 der Ohrfunk gegründet wurde, dessen Namensgeber er war, war Carsten nicht nur sofort Vorstands- und Gründungsmitglied, sondern er war auch für die Sendung „Klangfarben“ zuständig. In dieser Sendung präsentierte er Folk, Blues, Weltmusik und auch plattdeutsche Lieder. Mit aller Kraft setzte er sich für das Radio ein, moderierte neben den Klangfarben auch mindestens einmal in der Woche unser Magazin und übernahm es, den Ohrfunk-Podcast zu betreuen, was er 8 Jahre lang zuverlässig gemacht hat. Daher hatte er irgendwann bei uns auch den Spitznamen Podcarsten weg, noch bevor Ina Müller das gleichnahmige Lied veröffentlichte.

Wenn wir miteinander telefonierten, sprachen wir über den Sender und technische Fragen, aber nach und nach wurden die Gespräche persönlicher, ein kleiner Schnack, wenn man gerade mal 5 Minuten Zeit hatte. Aufmerksam und fröhlich war Carsten, und sich mit ihm zu unterhalten ließ einen nachher viele Dinge, die einem vorher schwer auf der Seele lagen, viel leichter erscheinen, einfach weil Carsten selbst so unkompliziert war. Irgendwann rief ich ihn an, und sein Anrufbeantworter war dran. „Moin! Dit is die Klönkasten von Carsten Albrecht ut Hamborch“, begrüßte mich seine Stimme, und ich musste herzhaft lachen. Seither hieß er bei mir auch heimlich „Klöncarsten“.

Im Mai 2007 trafen wir uns alle in Hamburg zur jährlichen
Ohrfunkversammlung. Carsten war fröhlich, lachte und trank gern. Er hob die Stimmung, gerade wenn er die Stimme senkte. Mit einem Freund intonierte er russische Volksweisen, trat spontan kabarettistisch als Grieche auf und begeisterte die Macher und die Hörer der Sendung.

Carsten wusste im Team immer Rat, wenn es um das Produzieren und Schneiden von Beiträgen und Sendungen ging, verwaltete die Lizenzen für unsere Sendesoftware und vertrat jeden, der einmal eine Sendung ausfallen lassen musste. Er war einer der nettesten, hilfsbereitesten und freundlichsten Menschen, die ich kannte. Einer, der klar seine Meinung sagte und dabei extrem kollegial und fast immer fröhlich war.

Carsten hat mich zu Twitter gebracht. Er begeisterte mich für den Kurznachrichtendienst, wo er sehr bekannt war und viele viele Follower hatte, die jetzt alle kleine Nachrufe für ihn schreiben.

Bei der Ohrfunkversammlung 2012 hatte Carsten erstmals sein Iphone dabei und präsentierte humorvoll dessen Fähigkeiten. Mit der Stimme eines Besoffenen sprach er einen Namen aus seinem Adressbuch ins Mikrofon, und Siri, die Spracherkennung des Geräts, erkannte den Namen unseres Chefredakteurs und rief dessen Handy an. Es war extrem lustig, Carsten hat uns alle zum Lachen gebracht.

Jahrelang kämpfte er mit Zuversicht, Lebensfreude und ohne Illusionen gegen seine Krankheit. Der Mut hat ihn wohl nie verlassen. Als wir vor einem Jahr alle in Marburg waren und eine Bootsfahrt machen wollten, musste er aus Krankheitsgründen darauf verzichten, bat uns aber, uns nicht abhalten zu lassen, er wartete in einer Kneipe am Ufer auf uns. Obwohl es ein feucht-fröhlicher Abend wurde, machte es deutlich, dass sich etwas verändert hatte. Die Hoffnung hatte Carsten noch lange nicht verloren, aber der Kampf wurde härter. Nun hat ihn die Krankheit mitten aus dem Leben gerissen, und wir alle merken, was wir an ihm hatten. Carsten, der ein riesiges Musikarchiv besaß, der an Feiertagen plattdeutsche Sendungen machte, der bei Versammlungen die lauteste Lache und die besten Witze besaß, der jedem half, stundenlang Computerprobleme löste, der unseren Podcast machte und unsere Software kannte, der jahrelang Blindenhilfsmittel professionell getestet hat und immer genau wusste, was man benutzen konnte und was nicht. Carsten, der für jeden ein freundliches Plaudern oder ein ernsthaftes und tiefgehendes Gespräch parat hatte, der eine der Seelen und Säulen des Senders war, hat uns verlassen. Die Stimme mit der außergewöhnlichen Musik neben dem absoluten Mainstream ist verstummt. Eine Blues-Sendung gibt es nun bei Ohrfunk, aber niemand wird Carsten bei den Klangfarben ersetzen können, jener Sendung, die er einst selbst konzipiert und bis zum Schluss betreut hat.

Lieber Carsten, wir werden dich vermissen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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