Ist Joachim Gauck ein Kriegshetzer?

Mit unseren Bundespräsidenten haben wir es in letzter Zeit schwer. Horst Köhler und jetzt auch Joachim Gauck arbeiten sich an der Frage ab, ob und wann Deutschland sich in der Welt militärisch engagieren soll. Doch anstatt sachlich über diese Frage zu diskutieren, wird sie in unverantwortlicher Weise emotionalisiert, bis nichts mehr übrig bleibt, um klare, vernünftige Standpunkte zu entwickeln. Dabei wäre genau das jetzt dringend erforderlich.

Schon zweimal hat Joachim Gauck für mehr Verantwortung Deutschlands in internationalen Angelegenheiten geworben. Sowohl auf der münchener Sicherheitskonferenz im Januar 2014, als auch bei einem Interview des Deutschlandradio Kultur am 21.06.2014 schloss er militärische Maßnahmen als letztes Mittel nicht vollständig aus. Wenn Despoten oder Verbrecher ihr eigenes oder andere Völker unterdrückten, könne es geboten sein, gemeinsam mit Anderen auch militärisch einzugreifen, sagte Gauck. Norbert Müller, Abgeordneter der Linkspartei im brandenburgischen Landtag, nannte Gauck daraufhin einen Kriegshetzer. Damit war die Debatte erledigt, denn natürlich schlug Thomas Oppermann mit einem unpassenden Nazivergleich zurück. Wie aber stehen wir wirklich zu der Frage des deutschen Engagements in internationalen Krisensituationen?

Joachim Gauck ist mit Sicherheit kein Kriegshetzer. Er fordert Deutschland nicht auf, zur Durchsetzung seiner Interessen Krieg zu führen, er will nicht deutsche Soldaten überall in die Welt schicken, um Weltpolizist zu spielen. Er sagt etwas, was alle sagen, wenn sie sich auf die Vereinten Nationen als Forum der Konfliktlösung berufen. Die Charta der Vereinten Nationen sieht ausdrücklich militärische Maßnahmen gegen einen Staat vor, der sich bestimmter Verbrechen schuldig gemacht oder einen Angriffskrieg durchgeführt hat. Idealerweise müsste jeder Staat seinen Beitrag zum Erhalt einer friedlichen Weltordnung leisten. Natürlich genießt, auch bei Gauck, die Diplomatie, die Deeskalation und die internationale Vereinbarung absoluten Vorrang. Aber es gibt Situationen, in denen solche Vereinbarungen einfach nicht gewollt werden. In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts versuchte der britische Premier Neville Chamberlain, Adolf Hitler mit Zugeständnissen und Verhandlungen zu einer sanfteren Außenpolitik zu bewegen. Hitler war eine solche Ausnahmeerscheinung des Despoten und Verbrechers, der sein eigenes und andere Völker unterdrückte. Diese Erfahrung dürfen wir bei der Debatte nicht einfach wegwischen, das wäre unverantwortlich. Wir haben bereits erlebt, dass Verhandlungspolitik auch scheitern kann, und dieselben Menschen, die in Deutschland eine konsequente Friedenspolitik fordern, würden sich zurecht schrecklich darüber empören, wenn man einen solchen Despoten einfach gewähren ließe und zugeben müsste, dass man auf diplomatischem Wege nichts mehr tun könne. Außerdem ist die Kritik der Linkspartei an Joachim Gauck zwar taktisch klug, aber nicht vollständig glaubwürdig. Ausgerechnet die Linkspartei zeigt nämlich ein gewisses Verständnis für die säbelrasselnde Machtpolitik Wladimir Putins in der Ukraine, weil er sich so schön als Opfer westlichen Imperialismus instrumentalisieren lässt.

Nachdem dies gesagt ist, muss man aber auch deutlich machen, dass die Äußerungen des Bundespräsidenten bestenfalls als naives Ideal verstanden werden können. Wer führt denn Kriege, abgesehen vom zweiten Weltkrieg, um einen Despoten aufzuhalten und Völker zu retten? Kriege werden aus wirtschaftlichen Gründen geführt, und wer dies öffentlich sagt, wird mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt, wie es Horst Köhler seinerzeit passierte. Kriege haben nichts mit Idealismus zu tun, sondern haben immer einen realen, machtpolitischen Hintergrund. Wäre die Menschheit so weit, dass sie Kriege an sich verdammte und bis auf Ausnahmen nach ihren Idealen lebte, dann gäbe es praktisch keine Kriege mehr, eben bis auf die von Joachim Gauck erwähnten Ausnahmen. Nur dann, wenn die Menschheit an sich den Krieg geächtet hätte, würden Gaucks naive Äußerungen einen Sinn ergeben. Außerdem wird der Bundespräsident in dieser Frage zusätzlich diskreditiert, weil er seine Forderung nach mehr militärischer Beteiligung Deutschlands ausgerechnet vor der münchener Sicherheitskonferenz ausgesprochen hat. In diesem Gremium sitzen Politik, Militär, Waffenlobby und Rüstungsbetriebe an einem Tisch. Es fällt schwer, hier an ein engagiertes Eintreten für eine internationale Friedensordnung zu glauben.

Und schließlich gibt es ein immer wieder schlagendes Argument gegen ein größeres militärisches Engagement: Wie sollen wir lernen, ohne Krieg zu leben, wenn wir ihn immer wieder als politisches Mittel einsetzen? Solange der Krieg in unseren Köpfen die Fortsetzung der Verhandlungs- und Sanktionsdiplomatie mit anderen Mitteln ist, wird sich nichts ändern, solange kann keine Weltordnung entstehen, in der es geboten sein könnte, im absoluten Ausnahmefall Blutvergießen durch militärisches Eingreifen zu vermindern.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit militärischen Handelns an sich ist keine Frage von richtig oder falsch. Nicht jeder, der unter bestimmten Umständen für ein begrenztes militärisches Engagement eintritt, ist ein Kriegshetzer, hat sich seine Entscheidung leicht gemacht und hält Blutvergießen für ein adäquates politisches Mittel. Hier muss man gerade auch von Pazifisten, die sich rühmen, zivilisatorisch die höchste Stufe der Menschlichkeit erklommen zu haben, differenzierte Bewertungen erwarten. Es ist nämlich leicht, den Krieg abzulehnen, aber keine wirkungsvollen, friedlichen Alternativen auszuarbeiten. Man kann auch aufgrund einer Gewissensentscheidung für Gewalt als letztes Mittel zum Schutz Wehrloser eintreten. Die Attentäter des 20. Juli oder einen Georg Elser würden wir nicht einfach Gewaltverbrecher nennen. Die Formulierungen Joachim Gaucks lassen darauf schließen, dass er sich auf diese Art von Geisteshaltung stützt, wenn er seine Thesen vertritt. Ihn deswegen einen Kriegshetzer zu nennen, halte ich für unangemessen und unverhältnismäßig. Trotzdem sollten wir uns seinen Forderungen mit aller Macht widersetzen. Denn das größere militärische Engagement, von dem heute die Rede ist, kann nur das Engagement zur gewaltsamen Behauptung unseres Wohlstandes sein, das Engagement zur Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Ziele unter dem Vorwand humanitären Denkens. Jeder Idealismus, sollte er nach dem zweiten Weltkrieg tatsächlich vorhanden gewesen sein, ist der Politik inzwischen abhanden gekommen. Deshalb kann und darf sich Deutschland nur an UN-Friedensmissionen beteiligen, die von allen Konfliktparteien gewollt und unterstützt werden, und bei denen der Wille erkennbar wird, dass tatsächlich Frieden und Versöhnung hergestellt werden sollen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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