Links, Rechts, Verzweiflung – Ein plötzlicher Gefühlsausbruch

Gerade habe ich über die unfassbaren Ereignisse in Berlin gelesen, den Überfall von 500 Polizeibeamten auf ein Haus der linken Szene in Berlin ohne richterliche Anweisung wegen sogenannter Ruhestörung. 500 Beamte haben sie eingesetzt, aber die hunderte Straftaten werden nicht verfolgt, die sich gegen Linke, gegen Asylbewerber und Flüchtlinge richten. Darum packte mich die Verzweiflung, der ich in einem langen Tweet und auf Facebook Luft machte. Hier mein kurzer, extrem persönlicher Text.

Ich kann nicht fassen, aber ich glaube es, wie dieses Land mit rechten Gewalttätern nicht umgeht, linke sogenannte Ruhestörer ohne Gerichtsbeschluss aber schikaniert und belästigt, sogar mit Hubschraubern und Sondereinsatzkommandos von 500 Beamten. Wir haben schon lange unsere Unschuld verloren, denn wir haben den Terror des NSU zugelassen, die hunderte Straftaten gegen Asylbewerber nicht verfolgt, die Linken, die sogenannten Gutmenschen aber mit aller Härte des Rechtsstaates gejagt, wenn sie kifften oder Musik hörten. Ich bin es so leid, ich will das alles einfach nicht mehr hören müssen, aber ich muss, genau wie alle Anderen auch. Und wenn ich sage, dass man den Kampf um Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit nicht aufgeben darf, dann denke ich immer, es müsste doch auch im Staatsapparat, in der Politik, der Verwaltung und auch der Polizei Menschen geben, die über das Verhältnis von Mord zu Ruhestörung ähnlich denken wie ich. Aber es scheint sie nicht mehr zu geben. Wie viele Menschen haben wohl anfang der dreißiger Jahre schon allein deshalb nicht gegen die Machtergreifung der Nazis gekämpft, weil man sie vorher durch Repressalien und schleichende Entrechtung, Entsolidarisierung und Erniedrigung unmündig, Mut- und wehrlos gemacht hat? Wir brauchen einen Aufschrei der Demokraten, der Gerechten, der einfachen Menschen! Wir müssen raus aus dieser verdammten Hilflosigkeit! Wut und Gewalt helfen nicht, niemand wird mich dazu bringen, selbst ein Rechter zu werden, nur um auf der Gewinnerseite zu stehen, und ich muss mich hüten, meine kleine, unbedeutende Stimme nicht verstummen zu lassen, weil ich einfach nicht mehr weiß, was ich noch sagen soll. Seit 10 Jahren schreibe ich, es sind fast 11, in mein Blog, und Stück für Stück wurde mir der Glaube an dieses Land, diese Gesellschaft und eine gute Zukunft geraubt. Erst kämpft man dagegen an, dann wird man entweder zornig oder mutlos, oder beides. Was ist los? Erkennt denn niemand, wohin hier die Reise geht? Hat denn kein Schwanz mehr einen Funken von Verantwortung im Leib? Das gilt für uns einfache Bürger und für die Gewählten und ernannten Staatsbediensteten, für die Verwalter all dessen, was die
Nachkriegsgeneration mit Idealismus aufgebaut hat, nur um es jetzt durch einen Hassmob, raffgierige Bonzen, geistige und körperliche Brandstifter und neue Rechte, egal ob intellektuell oder brutal, zerstören zu lassen? Verdammt: Wer kann sich hier noch sicher fühlen? Meine Kollegin, die hier geboren wurde und deren Familie aus der Türkei stammt, jedenfalls nicht, die Menschen mit Behinderung, dunkler Hautfarbe, ausländischem Akzent auch nicht. Und die Menschen auch nicht, die den Weg, den diese Gesellschaft geht, sichtbar anprangern und sich links nennen, die werden auch bedroht. Polizeilich eingeschüchtert zunächst, später ausgerottet. Wir sind auf dem besten Wege dahin, wenn wir die Spirale der Eskalation nicht stoppen! In diesem Augenblick, um 1 Uhr nachts am 14. Januar 2016, fühle ich mich verdammt mutlos, wenn ich die Politik, aber auch die
Gesellschaftsentwicklung betrachte. – Verdammt mutlos! – Sie fliegen mit Hubschrauber und ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl und 500 Beamten ein wegen Ruhestörung, aber sie lassen die Mörder und Möchtegernmörder laufen, die Häuser anstecken und beinahe Nachbarn und Ausländer zusammen umbringen, die drinnen beim Kaffee sitzen. Ich weiß, wovon ich rede, den eltern einer Freundin ist genau das passiert, sie haben den Brand nur rechtzeitig bemerkt. Der Brandstifter, der die Tat sogar zugab, läuft frei herum. Er war ein Feuerwehrmann. Ach egal, es hört und versteht mich ja ohnehin niemand mehr, oder kaum noch jemand, der das Maul aufmacht, oder sich traut etwas zu schreiben oder sich zu beschweren oder sonst auf eine Art zu kämpfen.

Nachtrag: Die Aktion in Berlin geschah offenbar nach einem Angriff auf einen Polizeibeamten. Natürlich verurteile ich diesen Angriff, und die Täter sollte man ebenso bestrafen wie rechtsextreme Brandstifter und Mörder, und auch die Autonomen muss man bekämpfen, soweit und solange sie Gewalt ausüben! Trotzdem war der Einsatz unverhältnismäßig, oder anders gesagt: Wenn die Polizei so schnell zu solchen Masseneinsätzen fähig ist, warum dann nicht in anderen Fällen, wo ein hassender Mob wie in Leipzig gewaltsam durch die Straßen zieht?
Hier ein paar Hintergrundinfos.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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3 Antworten zu Links, Rechts, Verzweiflung – Ein plötzlicher Gefühlsausbruch

  1. Goenner sagt:

    Sehen Sie, das ist das Ding:
    Sie schreiben, dass die Polizei immer auf die „Linken“ eindrischt, andere schreiben, dass sie nur auf die „Rechten“ eindrischt und jeder hat Beispiele dafuer womit er das „belegen“ kann.
    Dabei belasse ich es und wandere jetzt selbst erst mal durch die News.

  2. Nein, Herr Goenner, Sie können mir keine Beispiele bieten, wo rechte Straftäter übermäßig behandelt ode verurteilt wurden, die nichts getan haben. Sie können aber sehen, wie in Leipzig rechte Wutbürger ganze Straßenzüe demolieren. Ich kenne Menschen, deutsche Menschen, die in einem brennenden Haus saßen, das von einem rechten angezündet wurde, der nicht verhaftet wurde, und das BKA gibt zu, dass die rechten Straftäte in der Regel nicht verfolgt werden. Und dann das in Berlin als Gegenbeispiel. Nein: Nicht jeder hat seine Beispiele, das ist schlicht nicht wahr.

    Aber natürlich können Sie anderer Meinung sein.

  3. ronald wolf sagt:

    Ich verstehe die Wut von Dir sehr gut. Diese Fragen stellte ich mir auch. Die Nazimörder der NSU und die rechten Asylheimbrandstifter können durch das Land geistern ohne das etwas passiert. Wie geht das denn, wo jedes Telefongespräch, Mail und jede kaputte Autolampe durch „Sicherheitsorgane“ registriert wird. Bei den Linken wird sofort reagiert und „zugeschlagen“. Bei den Antinazidemos sind oft merkwürdige Typen dabei, die mir nicht unbedingt einen linken Eindruck machen, oftmals geht von denen die ein oder andere Provokation aus und gibt der Polizei Gelegenheit etwas härter durchzugreifen (das ist das Agent-Maus-Prinzip aus den 70ern). Welche Typen im schwarzen Block der Demos agieren will scheinbar die Polizei merkwürdigerweise nicht wissen. Vielleicht braucht man diese Chaoten als Alibi um auf Linke einzudreschen ? Ich denke, die tägliche Diskreditierung linker Ideen und Parteien durch die Mainstreampolitik bleibt in den meisten Köpfen bewusst oder unterbewusst hängen. Die neoliberalen Politiker, Millionäre und die Wahrer des Kapitalismus machen hier ganze Arbeit.
    Trotzdem, lieber Jens, bitte nicht verzweifeln. Mache weiter, empöre Dich und bleibe bitte aktiv wie immer. Wir geben niemals auf !
    Gruß aus dem Vogtland
    Ronald W. (der Linke)

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