Geheimdienste vor Gericht: Meine Eindrücke vom Geheimdiensttribunal

Noch sind die Fotos und audiomitschnitte nicht verfügbar, die ich gern in den folgenden Bericht eingebaut hätte, doch wenn ich länger warte, verblassen schon fast wieder die vielfältigen Erinnerungen. Auf Geheimdienste vor Gericht kann man viel über das Programm des vergangenen Wochenendes lesen, und ich darf sagen, ich bin dabei gewesen.

Eines vorweg: Ich fuhr mit großem Lampenfieber. Die Durchblicker wollten ein Kabarettstückchen unter dem Titel Schweine im Weltall aufführen, an dem ich mitwirkte, und Jochen Schupper sollte den Secret Service Song spielen. Und ich war angetreten, den Workshop Verfassungsschutz und Berufsverbote zu moderieren. Weil das Wochenende so dicht gepackt war mit Veranstaltungen und Informationen, hatte ich allerdings für dieses Lampenfieber kaum Zeit.

Erster Höhepunkt war nach einer langen Fahrt in die Hauptstadt am Abend des 21. Oktober 2016 der Film Snowden. Er zeigt das Agenten-
und Privatleben des Whistleblowers von seinem Eintritt in die CIA an bis zu seiner Flucht über Hongkong nach Moskau. Obwohl der Film natürlich ein Hollywoodstreifen ist, mit all seinen Dramaturgien, Liebesgeschichten und spannenden Thrillermomenten, zeigt er zumindest in vereinfachter Form, was CIA und NSA alles tun, um die Menschen, und zwar auch die amerikanischen Staatsbürger, zu überwachen. Zum Beispiel sind sie in der Lage, bei Privatcomputern durch die Ferninstallation ihrer Software die Webkamera einzuschalten, selbst wenn der computer sich im Ruhezustand befindet. Der Benutzer merkt nichts davon, dass er beobachtet und belauscht wird. Dies ist keine Fiktion, es funktioniert tatsächlichc. Im Anschluss an die Filmvorführung forderte Annegret Falter vom Whistleblowernetzwerk eine Straffreiheit für Whistleblower, die Gesetzesverstöße öffentlich machen, was ich für sehr vernünftig halte. Wer sich an das Recht hält, wer Rechtsverstöße öffentlich macht, der soll dafür nicht auch noch bestraft und zur Rechenschaft gezogen werden können.

Am nächsten Tag habe ich neben der Auftaktveranstaltung, die schon allein deshalb interessant war, weil sie mit Befürwortern und Gegnern der Arbeit der Geheimdienste besetzt war, 4 weitere Podien, Gesprächsrunden und Vorträge besucht: Verfassungsschutz ohne Verfassungsbruch, bei dem es vor allem um Datenschutz ging, Klagestrategien gegen den BND, wo gezeigt wurde, dass die Befugnisse des BND zum Beispiel den Quellenschutz für Informanten von Pressevertretern inzwischen fast unmöglich machen, Wer kontrolliert wen – Launch des Online-Archivs zum NSA-Untersuchungsausschuss, wo dieses höchst interessante und informative Online-Archiv vorgestellt wurde, und Bundesverfassungsschutz und Strafprozess, wo der immer größere Einfluss der Geheimdienste und der Erkenntnisse, die durch V-Leute gesammelt werden, auf die Strafprozessordnung dokumentiert wurde. Eines habe ich in all diesen Veranstaltungen gelernt: Verfassungsschutz und Geheimdienste haben bislang in Deutschland keinen einzigen Terroranschlag verhindert, was nach und nach auch die Bundesregierung zugeben musste. Übrig bleibt einzig und allein die Sauerlandgruppe, doch die Bundesregierung hat bislang auch dem parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste keine Beweise vorgelegt, dass die Geheimdienste hier irgendetwas getan haben. auf der anderen Seite findet eine gesetzwidrige Massenüberwachung der deutschen Bürger statt, die systematisch und rechtswidrig durchgeführt wird, was technisch betrachtet sogar der Gutachter der Bundesregierung bestätigen musste, auch wenn er politisch zu anderen Schlüssen kam. Ich habe außerdem gelernt, dass der BND die Kontakte von Beobachtungsobjekten bis ins fünfte Glied ausspähen darf, also Bekannte von Bekannten von Bekannten von Bekannten von Bekannten. Unter „Bekannte“ können theoretisch auch die Kellner in einem Restaurant fallen, die dort ein Beobachtungsobjekt des Geheimdienstes bedient haben. Außerdem weiß ich jetzt sicher, dass die Geheimdienste vom Parlament nicht zu kontrollieren sind, da die Bundesregierung selbst entscheiden kann, was sie dem Kontrollgremium mitteilt.

Eigentlich sollte unser Kabarettauftritt zu Beginn der Tagung stattfinden, aber die Organisatoren haben ihn in die Mittagspause verschoben, mit dem Ergebnis, dass nicht eine Person am entsprechenden Ort anwesend war, weil alle draußen auf dem Hof bei den Imbisswagen standen und aßen. Also haben wir kurzerhand den auftritt dorthin verlegt. Leider machte sich mein Lampenfieber bemerkbar, ich vergaß eine Zeile und brachte den auftritt durcheinander, wir retteten aber im Großen und Ganzen die Situation und bekamen von den Stehtischen aus Applaus.

Und dann kam also das Podium, das ich selbst moderieren sollte: Verfassungsschutz und Berufsverbote. Ich saß vorne am Pult, rechts neben mir Renate Bastian, die mir auch bei der Moderation assistieren würde, links neben mir Silvia Gingold und noch weiter links Rechtsanwalt Peter Becker. Es ging um die Berufsverbote gegen Kommunisten in den siebziger und achtziger Jahren. Herbert Bastian, der Mann von Renate Bastian, der leider nicht mehr lebt, wurde wegen seiner Mitgliedschaft in der und seines Mandats im Stadtparlament von Marburg für die DKP 1979 aus dem Postdienst entfernt, er war Postbote. Er klagte dagegen und bekam vor dem obersten Disziplinargericht des öffentlichen Dienstes recht, er habe sich nie einer Verfassungsfeindlichkeit schuldig gemacht. Dagegen klagte die Post beim Bundesverwaltungsgericht erfolgreich, er wurde als Verfassungsfeind eingestuft und endgültig entlassen, ihm wurden auch seine Pensionsansprüche aberkannt. Mehrere Jahre war die Familie Bastian stark auf die Solidarität in Marburg angewiesen, und sogar
CDU-Landtagsabgeordnete setzten sich für sie ein, sie wurden von Rechtsanwalt Peter Becker vertreten. 1989, als Bastians Dienstherr, Postminister Schwarz-Schilling, seinen Sessel geräumt hatte, konnte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der das bereits vorher zugesagt hatte, einen Gnadenerlass herausgeben, die letzte Möglichkeit gegen eine höchstrichterliche Verfügung.

Nach meinen einleitenden Worten, die mir als Radiomann nicht sonderlich schwer fielen, erzählte Renate diese ganze Geschichte. Mit ihr hatte ich mich bereits einmal bei Franz-Josef Hanke getroffen, ihre Geschichte kannte ich schon. Dann bat ich auch Silvia Gingold, ihre Geschichte zu erzählen. Sie stammt aus einer jüdisch- kommunistischen Familie. Die Eltern waren als Juden mit ihren Familien aus Deutschland geflohen und hatten sich in Frankreich in der Resistance kennengelernt. Kein Zweifel, dass sie stramme Kommunisten waren und ihr Leben lang blieben. Nach dem Krieg kehrten sie nach Deutschland zurück, um als Mitglieder der KPD das Land neu aufzubauen. Silvia Gingold wurde 1946 geboren. 10 Jahre später wurde die KPd verboten, viele sagen heute, dass es ein Fehlurteil war. Weil Peter Gingold aktives KPD-Mitglied war, wurde seine Wohnung durchsucht, er wurde, wie Silvia Gingold es nannte, in den Untergrund getrieben, der Familie wurde die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt, die offizielle Begründung lautete, dass es polnische Großeltern gebe. Allerdings konnte die Familie in Deutschland bleiben, und nach der Schule wollte Silvia Gingold Lehrerin werden. Dazu musste sie erst einmal Deutsche sein, und durch Druck vor allem aus Frankreich, wo die Familie gerade wegen ihrer deutschen Herkunft und ihrer
Resistance-Mitgliedschaft geachtet war, erhielten alle 1974 die deutsche Staatsangehörigkeit zurück. Das hinderte die Behörden jedoch nicht daran, Silvia Gingold nach einem Jahr als Lehrerin, und obwohl nichts gegen sie vorlag, aus dem Schuldienst und dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil sie eine Verfassungsfeindin sei, denn sie gehöre einer Partei an, die die Diktatur des Proletariats wolle. Sie empfand und empfindet diese Maßnahmen als Verfolgung ihrer jüdisch-kommunistischen
Familie in der dritten Generation. Es bedurfte einer Intervention unter Anderem von Francois Mitterand, der damals Chef der französischen Sozialisten war, bei der deutschen Regierung unter Helmut Schmidt, damit Silvia Gingold als Angestellte Lehrerin weiterarbeiten konnte, eine Verbeamtung wurde ihr versagt. Gegen ihre Wiedereinstellung veranstaltete die CDU
regelrechte Hetzcampagnen, hetzte die Eltern auf, Schülerinnen und Schüler wurden instrumentalisiert, silvia Gingold wurde persönlich verleumdet. Im
Augenblick klagt sie gegen das Landesamt für Verfassungsschutz auf Herausgabe und Löschung ihrer dort gespeicherten Daten. Es muss eine Menge sein, doch die Behörde verweigert die Herausgabe mit der Begründung, Frau Gingold könne daraus zweifelsfrei ersehen, wer aus ihrem persönlichen Umfeld sie ausspioniert habe.

Ich empfand und empfinde diese Geschichte als einen echten Hammer und als Schande für Deutschland, wie es Peter Becker nannte, der auch Frau Gingold vertrat. Er stellte die Berufsverbote in den Zusammenhang des kalten Krieges, der Verhandlungsbereitschaft mit den Kommunisten nach außen in der neuen Ostpolitik. Nach innen hätte die Regierung aber einen streng antikommunistischen Kurs gefahren, und die berufsverbote seien ein
schleichendes DKP-Verbot gewesen, meinte er. Über die Geschichte der Verfolgung der Familie Gingold bin ich immer noch sehr betroffen. Dass so etwas in Deutschland möglich ist, und immer wieder möglich ist, stimmt mich nachdenklich, und es lässt mich mit noch mehr Wut auf diese rechten Spinner zurück, die irgendetwas von dem, was das nationalsozialistische Deutschland war, zurück haben wollen.

Nach dieser in jeder Hinsicht intensiven Veranstaltung, bei der ich mit meiner Moderatorenleistung einigermaßen, aber nicht vollständig, zufrieden war, ging es hinüber ins Gorki-Theater zum Hauptact des ganzen Wochenendes, dem tribunal gegen die Geheimdienste in hochkarätiger Besetzung. Die Gerichtsverhandlung war wie ein echter Prozess aufgemaccht. Richter spielten die Richter,
Sachverständige Experten die Sachverständigen. Konstanze Kurz vom CCC klagte gegen die Speicherung ihrer Daten beim BND, die nahezu zwangsläufig erfolgt, obwohl der BND Deutsche eigentlich nicht ausspähen darf. Die Sachverständigen erklärten die Arbeitsweise des
Geheimdienstes, ein Vertreter der Bundesregierung verteidigte die Geheimdienste recht eloquent mit allen bekannten Argumenten und konnte mal um mal widerlegt werden. Klar, dass die Geheimdienste am Ende verurteilt wurden, von Frau Kurz keine Daten mehr zu erheben und die vorhandenen zu löschen. Da es sich um ein Verwaltungsgericht handelte, hatte es nicht die Befugnis, die Massenüberwachung völlig zu verbieten, zumal eben hier die persönliche Betroffenheit fehlte. Frau Kurz konnte nur für sich und ihre Daten sprechen.

Ich fand die Verhandlung interessant, aber an manchen Stellen war sie langatmig, bestimmte technische Details wurden meiner ansicht nach zu ausführlich behandelt.

Hier gibt es die Möglichkeit, die Videodatei herunterzuladen, die einzig barrierefreie Möglichkeit, sich das Theaterstück anzusehen.

Den ganzen Nachmittag hatten wir von verschiedenen Veranstaltungen getwittert und uns konzentriert, nach dem Theaterstück waren wir rechtschaffen müde. Ich werde noch einiges zu denken haben nach diesem Wochenende, aber eines ist klar: Geheimdienste in der jetzigen Form müssen mindestens reformiert, wenn nicht sogar abgeschafft werden. Allerdings bin ich mir, im Gegensatz zu Franz-Josef Hanke nicht über die Auflösung des Verfassungsschutzes sicher. Eigentlich sollte diese Behörde einmal ein Frühwarnsystem gegen Tendenzen sein, dass es Kräfte gibt, die unsere verfassungsmäßige Ordnung ändern wollen. Es handelt sich dabei um eine präventive aufgabe, die eigentlich nicht in den Bereich der Polizei gehört, denn hier werden Erkenntnisse gesammelt, bevor noch ein Verbrechen geschehen ist. So etwas muss es meiner Ansicht nach auch geben, aber eben nur zum sammeln von Erkenntnissen, nicht zur Verdächtigung oder Bespitzelung einzelner Personen oder politisch missliebiger gruppierungen. Auf wissenschaftliche Weise Erkenntnisse sammeln, ohne die Rechte der Bürger einzuschränken, das sollte aufgabe einer solchen Behörde sein, damit wir rechtzeitig die Gefahren kennen, gegen die wir politisch und unter Wahrung der Menschenrechte vorgehen sollten. Aber ich meine, dass ich darüber noch eine Weile nachdenken werde.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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3 Antworten zu Geheimdienste vor Gericht: Meine Eindrücke vom Geheimdiensttribunal

  1. ronald wolf sagt:

    Toller Bericht. Die Länge wird durch Euer intensives Wochenende auch gerechtfertigt.
    Bin wie immer fast mit allen Aussagen konform. Nur die letzte Passage zur Notwendigkeit eines Verfassungsschutzes kann ich nicht nachvollziehen, denn damit kann man auch die Stasi als „präventives Frühwarnsystem“ erklären. Oder ?
    Gruß aus dem Vogtland
    Ronald

  2. Hallo Ronald, schön, wieder von dir zu hören.

    Was den Verfassungsschutz angeht, denke ich noch nach. Ich stelle mir eine wissenschaftliche Behörde vor, mit Experten besetzt, ohne Bespitzelungsmöglichkeiten, denen aber alle rechtlich korrekt erhobenen Daten zugänglich sind. Eine Behörde, deren Mitarbeiter zwar Erlaubnis haben, Gruppen, nicht Einzelperspnen, zu beobachten und einzuschätzen – nicht zu beweisen -, ob eine Gruppe darauf ausgeht, die sogenannte freiheitlich-demokratische Grundordnung einzuschränken oder zu beseitigen. Eine Behörde, die – auch öffentlich – vor Bestrebungen warnt, wie das der Verfassungsschutz jetzt ja auch schon tut mit seinen Jahresberichten, die jeder lesen kann. Mein Gefühl ist einfach, das wir Menschen brauchen, die uns vor Rechtsterrorismus warnen und alle Erkenntnisse darüber bündeln können. Erkenntnisse übrigens, die dann nicht geheim sind, sondern im Gegenteil zur Bevölkerungsaufklärung gesammelt, gebündelt und veröffentlicht werden. Eigentlich eine wissenschaftliche Aufgabe, nur mit Zugang zu alen legal erhobenen Daten und mit Leuten besetzt, die es sich zur Aufgabe machen, Material zu sammeln, es nicht abzutun und beiseite zu legen. Das sind so unausgereifte Gedanken, die ich mir mache. Es wäre eben *keine* Behörde mit Polizeifunktion, sondern mit Frühwarn- und Aufklärungsfunktion.

  3. ronald wolf sagt:

    Aha. Jetzt verstehe ich wie Du das gemeint hast. Es ist ein kompliziertes Thema und hat viele Facetten. Natürlich will man als Bürger vom Staat auch vor Chaoten und Spinnern beschützt werden. Du hast schon recht, irgendein „präventives Frühwarnsystem“ muss es wohl geben. Die Gefahr, solche Daten und Erkenntnisse zu missbrauchen, ist aber groß. Mir fallen sofort einige dramatische Beispiele in der Geschichte der Bundesrepublik ein. Von der Stasi ganz zu schweigen.
    Viele Grüße aus dem Vogtland
    Ronald

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