Weihnachten und Silvester an einem Tag – Das Ende eines langen Jahres

In wenigen Stunden ist es so weit, mein ganz persönliches Jahr 2005 beginnt zu enden, und es ist wiedereinmal Weihnachten und Silvester an einem Tag.

Ich bin schon früh wach und überlege mir, was das letzte Jahr in meinem Leben für Veränderungen gebracht hat. Vor allem das Radioprojekt Milina-Radio. Seit Oktober habe ich kaum etwas anderes gemacht, und jetzt fällt alles zusammen. Monate an Kraft und Engagement habe ich hineingesteckt, und es gab von Anfang an Leute, die mir gesagt haben, darauf zu hoffen, sei nicht realistisch. Aber es sah für mich zumindest eine ganze Weile gut aus. Heute lasse ich dieses Jahr 2005 revue passieren, denn heute beginnt das Jahresfest meines Freundeskreises.

Es ist einfach toll, eigene Traditionen zu haben. Viele Menschen nehmen sich viel zu wenig Zeit dafür. Vor 21 Jahren gründeten mein Freund Uli und ich eine eigene Hitparade, weil wir so musikinteressiert waren, und weil jeder von uns unabhängig voneinander angefangen hatte, eine eigene Top 10 pro Woche aufzustellen. Wir holten uns noch ein paar Schulfreunde dazu, wir waren damals noch hier in Marburg an der Schule der Deutschen Blindenstudienanstalt, und trafen uns jeden Samstag, um unsere gemeinsame Hitparade auszuspielen. Das war eine musikalische Veranstaltung. Aber am dritten Advent veranstalteten wir unsere Jahreshitparade, und die war von Anfang an etwas besonderes. Wir trafen uns, erzählten einander von unserem Jahr, was uns bewegte und was uns widerfahren war, und dabei spielten wir die größten Hits unserer Hitparade. Am Ende dann stießen wir miteinander an, auf das neue Jahr sozusagen, denn wir fuhren wenige Tage später nach Hause, und für uns endete da das gemeinsame Jahr. Zwar feierten wir noch Weihnachten und den Jahreswechsel in unseren Familien, aber für unseren Freundeskreis war die Jahreshitparade das Ende des gemeinsamen Jahres.

Als wir einige Jahre später die Schule verließen, zerstreuten wir uns in alle Winde. Viele blieben zwar in Marburg, aber einige machten sich auf den Weg irgendwohin in Deutschland, um eine Arbeit anzunehmen oder dort zu studieren. Wir konnten uns nicht mehr jede Woche zu einer Hitparade treffen. Aber unsere persönliche Freundschaft wuchs und wuchs. Je mehr wir uns von unseren Familien abnabelten, oder in meinem Fall, je mehr ich meine Familie an den Tod verlor, desto größer wurde meine Nähe zu meinen besten Freunden. Natürlich wurden immer noch Hitparaden gesammelt, aber längst nicht mehr jede Woche, und am dritten Advent spielten wir die Jahreshitparade aus. Die erste Jahreshitparade dauerte sechs Stunden, die zweite und die dritte hatten schon eine Länge von zwölf Stunden, und im Jahre 1991, bei der siebenten Jahresliste, waren es schon 24 Stunden. Ab 1992, dem Jahr, als niemand von uns mehr in der Schule war, veranschlagten wir ein ganzes Wochenende für unser Treffen, weil es eine viel größere Bedeutung bekam.

Als das Internet aufkam und jeder von uns wieder leichter Hitparaden einreichen konnte, nahm die Zahl der ausgespielten Wochenlisten wieder zu, und wir richteten uns eine Mailingliste ein, in der wir unseren Alltag miteinander Teilen. Das ist jetzt seit fast 9 Jahren so, und wir freuen uns sehr darüber. Die Jahreshitparade wurde für uns auch immer mehr zum persönlichen Jahresabschluss. Wir erzählen einander von unseren Jahren, und das braucht Zeit, denn wir sind sieben oder acht Leute. Und dabei wird gefeiert. Wir haben sogar eigene Traditionen entwickelt, Dinge, die fast immer gleich sind. Zum Beispiel die Tatsache, dass wir nach dem Platz 1 unserer Jahreshitparade miteinander auf das neue Jahr anstoßen. Sehr persönliche Augenblicke unter wirklich guten Freunden. Dieses gemeinsame Fest entwickelte sich bei uns zum Jahreshöhepunkt, und wer immer es ausrichtet von uns, er oder sie hat einiges dafür zu tun. Nicht nur in musikalischer Hinsicht, das natürlich auch. Denn seit einem Jahr gibt es ein Ausrechnungsprogramm für die Hitparade, das uns die schwierige Rechenarbeit von Hand abnimmt. Wir hatten schon mal eins, das unter MSDOS lief, aber inzwischen waren wir alle auf Windows umgestiegen. Einer von uns ist Programmierer, und der schrieb uns ein schönes Windowstool, und so nahm auch die Zahl der eingereichten Wochenhitparaden wieder zu.

Ende des Jahres 2004 verabschiedeten wir Mirien, eine unserer Freundinnen, weil sie nach Brasilien ging als Austauschstudentin. Sie ist auf dem Besten Wege, Dolmetscherin für Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Deutsch zu werden. Sie flog Mitte Januar 2005 los, und kam mitte Januar 2006 wieder. Natürlich haben wir mit dem Jahresfest unseres Freundeskreises auf sie gewartet, und deshalb beginnt es heute um acht Uhr. Ich bin, wie jedes Jahr, ganz aufgeregt und habe mir Gedanken über mein Jahr gemacht, wie jede und jeder von uns. Gleich werde ich mit Bianca und unserem Freund Thorsten anfangen, Brötchen fürs Frühstück zu schmieren, denn wenn um acht die anderen kommen, soll es los gehen können. Und ab 10 Uhr wird unsere Jahrestop25 ausgespielt. Heute bis Platz 11, Morgen die Plätze 10 bis 1. Und ich bin gespannt, was meine Freunde von ihren Jahren berichten werden, was wir noch nicht wissen. Oft sind bei diesen Zusammenkünften Pläne entstanden, wurde vieles für einen klar, wenn er oder sie vor einer wichtigen Entscheidung stand. Und heute und morgen endet dann also das lange Jahr 2005.

Es ist ein richtiges langes Wochenende, das wir da verbringen. Freitags reisen wir an, drei von uns leben nun einmal nicht in Marburg. Wir treffen uns abends zum gemütlichen Beisammensein, dabei setze ich eine Bowle an, die uns allen gut schmeckt, und die ich nach einem Rezept meiner Mutter mache. Die gehörte nämlich in den letzten Jahren ihres Lebens zu unserem Freundeskreis dazu. Ich fand es immer sehr schön, dass wir nie etwas dagegen hatten, auch mit Menschen anderer Altersgruppen befreundet zu sein. Und heute beginnt dann das eigentliche Jahresfest.

Deshalb mache ich mir so meine Gedanken über das Jahr, über das Milina-Radio-Projekt, über meine Chancen als Radiomacher allgemein, über vieles mehr. Aber vor allem freue ich mich und beschließe mein langes Jahr 2005, und ich genieße, eben wie in einer echten Familie, Weihnachten und Silvester auf einen Tag.

Copyright © 2006, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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