Wie kommen sie da nur wieder raus?

Der unglaubliche Koalitionsstreit um die Zurückweisungen an der Grenze hat CDU und CSU in eine Lage gebracht, aus der sie nur schwer wieder herausfinden werden. Außerdem ist das beabsichtigte Ziel weit verfehlt worden.

Als Horst Seehofer vor einigen Wochen plötzlich die Forderung aufstellte, Flüchtlinge, die in einem anderen EU-Land bereits registriert sind, an der Grenze zurückzuweisen, rieben sich manche, auch im Innenministerium, verblüfft die Augen. Jedem einigermaßen gebildeten Menschen musste klar sein, dass eine solche Maßnahme dazu führen musste, dass zum Beispiel italien, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, dann einfach die Registrierung einstellen würde. In der EU denkt niemand mehr an Gemeinsamkeiten, niemand versucht mehr, gemeinsame Probleme gemeinsam zu lösen, jeder denkt nur an sich. Und dabei geht es nicht einmal um die tatsächlichen Probleme, sondern allein um gefühlte Wahrheiten und den Machterhalt. Zum Beispiel wissen wir, dass in Deutschland von Monat zu Monat weniger Flüchtlinge ankommen. Doch die Angsthasen in der Bevölkerung interessieren sich nicht für die Wahrheit, auch nicht für die Zahl, die ständig geringer wird, sie wäre ja da, man könnte sie lesen. Oder man könnte lesen, dass es längst Zurückweisungen an der Grenze gibt, zum Beispiel von Leuten, deren Wiedereinreise nach einer Asylablehnung verboten wurde. Es interessiert niemanden, dass es sich dabei in den letzten Wochen um ganze zwei Personen gehandelt hat, wie das Innenministerium selbst zugeben muss. Weil unser ganzes politisches Denken von Ängsten und Gefühlen bestimmt wird, hat sich die CSU darauf eingestellt und versucht nun, durch das Schüren von Ängsten und der Darstellung ihres Innenministers als unbeugsamen Recken deutscher Autarkie die eigene Macht in Bayern zu sichern, wo im Oktober Landtagswahlen stattfinden. Wir müssen uns klar machen, dass dies das einzige Ziel der Campagne ist.

Dummerweise ging die Sache nach hinten los. Selbst in Bayern ist eine Mehrheit der Bevölkerung eher Angela Merkel als Horst Seehofer zugetan, zeigt eine neue Umfrage, obwohl man damit ja immer vorsichtig sein muss. Und die, die tatsächlich Ängste oder rassistische Ressentiments verspüren, wählen natürlich lieber die AfD, das Original, und nicht die verspätet auf den Zug aufgesprungene und nur an ihrer Macht interessierte CSU. Jetzt ist guter Rat für die Christsozialen teuer. Ursprünglich war wohl die Idee, Angela Merkel zu stürzen und dann mit dem rechten CDU-Flügel unter Jens Spahn gemeinsam mit der FDP eine rechte Regierung unter Duldung der AfD zu etablieren, zumindest kann ich mir ein solches Szenario vorstellen. Jetzt sieht die Bayernpartei, dass es so nicht geht, dass sie trotzdem ihre absolute Mehrheit im Freistaat verlieren dürfte.

Was nun? Beim Koalitionsgipfel gestern abend zeigten sich die Bayern zwar in der Sache hart, aber sie lächelten, beschworen die Einheit der Union und machten auf verbale Abrüstung. Vielleicht werden sie versuchen, jedes Ergebnis des kommenden EU-Gipfels so umzudeuten, dass sie mit möglichst wenig Gesichtsverlust den Rückzug antreten können. Vielleicht aber bleiben sie auch stur, wenn Angela Merkel bei ihrer jetzigen Haltung bleibt, dass nur eine gesamteuropäische Lösung Hilfe bringen kann.

Die Emotionen kochen hoch, der Tiger ist nicht mehr zu halten, der Volkszorn ist am Siedepunkt. Er richtet sich gegen Muslime, gegen Juden, gegen Frauen, die WM-Spiele der Männer kommentieren, gegen alle Ausländer und alle, die noch irgendwie zu sagen versuchen, dass es einfache und radikale Lösungen nicht gibt. Seit längerem schickt mir mein Lieblingsnazi, ein Kommentator dieses Blogs, der zwar mir gegenüber seine Meinung sagen will, vor einem echten Zwiegespräch aber zurückschreckt, Geschichten über Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Ausländer. Als ob ich jemals behauptet hätte, dass es so etwas nicht gäbe. Im Zorn wird einfach ausgeblendet, dass Vergewaltigung auch unter Deutschen ein nicht seltenes Delikt ist, es gehört hier nur mehr zum alltag und wird von den Medien nur in spektakulären fällen aufgegriffen. und wenn ein Deutscher eine Frau vergewaltigt, wird oft gemutmaßt, dass sie das erfindet, um den Mann fertigzumachen, was natürlich auch hin und wieder geschehen ist. Je häufiger Einzelfälle in den Medien erscheinen, desto mehr werden sie in den Gefühlen der Menschen zur allgemeinen aussage. Da kann die Kriminalstatistik noch so sehr etwas Anderes sagen, die tatsächlichen Fälle, die in den Medien aufgegriffen werden, die Einzelfälle, nicht die Statistik, bestimmen unser Gefühl. So ist es auch in der Politik, und so ist es zwischen den Unionsfraktionen. Darauf wollte die CSU reagieren mit ihrem ansonsten unverständlichen Vorpreschen, wenn man mal unterstellt, dass sie nicht zu einer faschistoiden Partei geworden ist.

Ob die Bayern die Lawine, die sie losgetreten haben, jetzt noch halten können, oder ob sie aus ihrer Eigensucht heraus eine der letzten möglichen demokratischen Regierungen dieses Landes vernichtet haben, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
Dieser Beitrag wurde unter erlebte Geschichte, Politik abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar